Anmerkungen zu Anlage 4 zum Rundschreiben 10/2002

Rundschreiben 10/2002

Anmerkungen zum "Formulierungsvorschlag der Landesregierung zur Umsetzung der letzten Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes", vorgelegt dem Umweltausschuß des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom MUNF mit Schreiben vom 06.11.2002:

Zu Ziffer 1:

Der neu gefaßte Absatz 1 LNatSchG ist eine wörtliche und damit überflüssige Wiederholung des § 1 BNatSchG mit dem definierenden Klammerzusatz, daß es sich hierbei um die Ziele des Naturschutzes und der Landschafspflege handele.

Die Neufassung des ausführlichen Absatzes 2 formuliert ein abgeschwächtes Abwägungsgebot, das zuvor gesondert hervorgehoben in Absatz 3 enthalten war. Die "sonstigen Anforderungen der Allgemeinheit an Natur und Landschaft", also die nicht naturschützerischen Anforderungen, verlieren ihre wenn auch schwach, so doch immerhin noch hervorgehobene Stellung und finden nur noch im Rahmen einer Angemessenheitsprüfung Berücksichtigung.

Die Neufassung des § 1 Abs. 2 Ziffer 13 ist Folge der geänderten Systematik der Begriffe "Biotopverbund" und "vorrangige Flächen für den Naturschutz". Hierzu Erläuterungen unten unter Ziffer 17.

§ 1 Abs. 3, der vorher das Abwägungsgebot enthielt, wird ersetzt durch ein Förderungsgebot für das europäische ökologische Netz NATURA 2000.

Zu Ziffer 2:

Die ohnehin schon lyrische Aufgabenumschreibung der Behörden und öffentlichen Stellen im alten § 3 wird durch weitere drei Sätze aufgebläht, mit der Umweltpädagogik, Öffentlichkeitsarbeit im Bereich des Naturschutzes und nur die der Verwirklichung der Ziele und Grundsätze des Naturschutzes dienende wissenschaftliche Forschung und Umweltbeobachtung Förderungsansprüche erhalten.

Zu Ziffer 3:

Die mit der ursprünglichen Fassung des § 3 a) LNatSchG auf den Naturschutz eingeschworene öffentliche Hand wird zusätzlich verpflichtet, der Erholung geeignete Grundflächen bereitzustellen.

Zu Ziffer 4:

Die Regelung schafft einen neuen § 3 b), der sich mit der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft befaßt. Die ambivalente Formulierung von der "besonderen Bedeutung einer natur- und landschaftsverträglichen Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft für die Erhaltung der Kultur- und Erholungslandschaft" wird aufgegriffen.

Der Auftrag aus § 5 Abs. 2 BNatSchG, wonach die Länder Vorschriften über den Ausgleich von Nutzungsbeschränkungen in der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft erlassen, wird nicht umgesetzt. Ausgleich wird gleichgesetzt mit den Entschädigungsregelungen der bisherigen §§ 42 und 43.

Absatz 3 der Vorschrift schafft eine Grundlage für die bürokratische Festsetzung regionaler Mindestdichten ökologischer Saumstrukturen oder Trittsteinbiotope. Anstatt hier neue bürokratische Hürden zu schaffen, könnte der Gesetzgeber den Auftrag aus § 5 Abs. 3 BNatSchG durch das Landschaftsprogramm umsetzen lassen.

Absatz 4 wiederholt die zu rechtlichen Anforderungen umgeschmiedeten Grundsätze der guten fachlichen Praxis aus § 5 Abs. 4 BNatSchG für die Landwirtschaft. Es ist zu erwarten, daß die Forstwirtschaft bei der Novelierung des Landeswaldgesetzes mit derartigen Einengungen bedacht wird.

Absatz 5 schafft eine Verordnungsermächtigung, wonach das MUNF die Grundsätze der guten fachlichen Praxis näher konkretisieren, heißt verschärfen, kann.

Zu Ziffer 6:

Die Ergänzung von § 4 Abs. 2 LNatSchG weitet die Berücksichtigenspflicht der Landschaftsplanung von den Umweltverträglichkeitsprüfungen zugleich auch auf die NATURA 2000 - Verträglichkeitsprüfungen aus.

§ 4 soll um weitere zwei Absätze aufgebläht werden, wonach die Landschaftsplanung, also sowohl das Landschaftsprogramm auf Landesebene, die Landschaftsrahmenpläne auf der Ebene der Planungsräume und die Landschaftspläne auf der kommunalen Ebene auf die Verwirklichung der Ziele und Grundsätze des Naturschutzes in den benachbarten Ländern und im Bundesgebiet in seiner Gesamtheit Rücksicht nehmen müssen. Die Vorschrift fordert Unmögliches: Die Außenvertretung gegenüber Dänemark obliegt der Bundesregierung. Die Außenvertretung gegenüber Hamburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern obliegt der Landesregierung. Die Grenzgemeinden können Rechts- und Verwaltungsziele der benachbarten Bundesländer, das Land Schleswig-Holstein Rechts- und Verwaltungsziele des benachbarten Dänemark mangels Kenntnis darüber gar nicht umsetzen.

Zu Ziffer 9:

§ 6 Abs. 1 Satz 2 LNatSchG wird erweitert. Bislang regelte die Vorschrift die Voraussetzungen, unter denen die Pflicht zur Aufstellung eines Landschaftsplanes bestand. Nunmehr wird die Pflicht zur Aufstellung eines Grünordnungsplanes ergänzt, allerdings durch die tatbestandliche Verknüpfung "oder". Dies kann in bestimmten Fällen auch eine Entlastung der Gemeinden bedeuten, die Planungsanlässe nicht mehr mit einem das gesamte Gemeindegebiet erfassenden Landschaftsplan sondern mit einem Teilflächen erfassenden Grünordnungsplan abdecken können. Allerdings wird die Pflicht zur Planung zusätzlich auf die Grünordnungspläne erstreckt.

In Absatz 5 wird die Fortschreibungspflicht für Landschaftspläne von der vorher tatbestandlich offenen und Argumentationen zugänglichen Erforderlichkeit strenger auf den Fall bezogen, daß "wesentliche Änderungen der Landschaft vorgesehen oder zu erwarten sind".

Zu Ziffer 10:

Die Hoheit der Gemeinden über den Inhalt der Landschaftsplanung wird weiter eingeschränkt durch die Verpflichtung, die Erfordernisse und Maßnahmen zur Sicherung und Schaffung des Netzes NATURA 2000 sowie die Mindestdichten von zur Vernetzung von Biotopten erforderlichen linearen und punktförmigen Elementen darzustellen.

Zu Ziffer 11:

Mit der Änderung von § 7 Abs. 2 Ziffer 9 wird der Grünlandumbruch auf erosionsgefährdeten Hängen, in Überschwemmungsgebieten, auf Standorten mit hohem Grundwasserstand sowie ganz generell auf Moorstandorten zum Regeleingriff.

Die Ergänzung einer weiteren Nummer 12 macht die Beseitigung der genannten Biotope mit Bäumen zum Regeleingriff. Da auch die "Waldmäntel" und "Gebüsche" genannt sind, werden auch forstwirtschaftlich notwendige Maßnahmen, wie etwa Saumhiebe, zum Regeleingriff und damit genehmigungs- und ausgleichsbedürftig.

Zu Ziffer 12:

Die Ergänzung in § 7 a) Abs. 3 Nr. 2 LNatSchG bedeutet eine geringfügige Entlastung der Investoren, weil der Versagungstatbestand nicht nur die Unmöglichkeit von Ausgleich sondern nun auch die Unmöglichkeit von Kompensation in sonstiger Weise voraussetzt.

Sozusagen als Ausgleich wird durch den angehängten Satz 3 der Versagungstatbestand aber wieder verschärft. Der Eingriff muß aus "zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses" gerechtfertigt sein, um Biotope streng geschützter Arten zu zerstören. Abgesehen von großräumigen Infrastrukturprojekten werden damit Eingriffsgenehmigungen bei streng geschützten Arten unmöglich. Das hat durchaus Bedeutung, denn es gibt eine Reihe streng geschützter Arten, die nicht zugleich in den Anhängen der NATURA 2000 - Richtlinien enthalten sind.

Zu Ziffer 14:

Die Vorschrift führt das Öko-Konto ein. Das ist zu begrüßen. Allerdings sollte die Anerkennung nicht in das Ermessen der Naturschutzbehörden gestellt werden, sondern im Interesse einer Stärkung des Instrumentes sollte bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen ein Anrechnungsanspruch eingeräumt werden.

Ein Ausgleichsflächenkataster verschärft die Bürokratie. Es ist den Genehmigungsbehörden zu überlassen, in welcher Weise sie intern Doppelbelegungen verhindern.

Zu Ziffer 17:

Die Vorschrift bringt eine Neufassung der Systematik der vorrangigen Flächen für den Naturschutz. Waren bislang Biotopverbundflächen ein Unterfall der vorrangigen Flächen für den Naturschutz werden nun Biotopverbundflächen neben die vorrangigen Flächen für den Naturschutz gestellt.

Die Definition der vorrangigen Flächen für den Naturschutz wird erheblich ausgeweitet. Das hat enorme Bedeutung, weil nach § 40 Abs. 1 Ziffer 6 LNatSchG ein gesetzliches Vorkaufsrecht des Landes für Grundstücke besteht, die in Gebieten liegen, die in einem festgestellten Landschaftsrahmenplan oder Landschaftsplan als vorrangige Fläche für den Naturschutz ausgewiesen sind. Auf diese Weise wird das Vorkaufsrecht auf "geeignete Flächen und Elemente, einschließlich Teile von Landschaftsschutzgebieten und Naturparken" ausgeweitet - ein völlig unbestimmter und viel zu weit gehender Eingriff in die Privatautonomie.

Absatz 4 führt eine Verpflichtung zur rechtlichen Sicherung auch der Biotopverbundflächen ein; Absatz 5 weitet die Pflicht zu Maßnahmen des Naturschutzes auf weitere "geeignete Bereiche" aus.

Absatz 7 enthält einen Vorrang des Ordnungsrechts und stellt den Vertragsnaturschutz (also die von der Landgesellschaft angebotenen, problematisch vorformulierten Vertragsmuster; nicht die individuellen vertraglichen Vereinbarungen) in die zweite Reihe.

Zu Ziffer 18:

Die Liste der nach § 15 a) gesetzlich geschützten Biotope wird um mindestens sieben Biotope erweitert (Binnenlandsalzstellen, Seegraswiesen und sonstige marine Makrophytenbestände. Riffe, sowie artenreiche Kies-, Grobsand- und Schillbereiche im Meeres- und Küstenbereich, Schluchtwälder, Verlandungsbereiche, Ufer und uferbegleitende Vegetation der Bach- und Flußabschnitte, Altarme, sämtliche natürlichen stehenden Binnengewässer einschließlich der Ufer- und der uferbegleitenden Vegetation).

Zu Ziffer 20:

Die Neufassung des § 18 Abs. 2 öffnet das in Landschaftsschutzgebieten vordem geltende gesetzliche Verbot den näheren Bestimmungen der Verordnung.

Zu Ziffer 21:

Die Möglichkeit, Naturdenkmale auszuweisen, wird von Einzelschöpfungen der Natur auf Flächen bis 5 ha ausgedehnt.

Zu Ziffer 22:

Der neue Satz 2 des § 20 Abs. 2 LNatSchG schränkt die Möglichkeiten ein, von Baumschutzsatzungen Ausnahmen zuzulassen. Während zuvor die Festsetzung des Schutzzweckes im Innenbereich der Gemeinde und in den übrigen Gebieten der Unteren Naturschutzbehörde oblag und auf den Schutzzweck von diesen Institutionen auch recht weitgehende Ausnahmen abgestimmt werden konnten, sind Ausnahmen nunmehr nur noch aus bestimmten Gründen zulässig. Vorliegen müssen

  • zwingende Gründe der Verkehrssicherheit,

  • die Unmöglichkeit der erfolgreichen Durchführung anderer Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit,

  • angemessene und zumutbare Ersatzpflanzungen oder Ausgleichszahlungen.

Zu Ziffer 25:

Die Vorschrift betrifft grundsätzlich auch die Verwendung genetisch veränderter Pflanzen oder Tiere in der Land- und Forstwirtschaft. Die Ausnahme ist dann unklar formuliert: Statt "sind auszunehmen" muß es heißen "sind ausgenommen", um nicht eine Anzeigepflicht nahezulegen. Zudem muß die Ausnahme nicht nur für Pflanzen, sondern auch für die Erzeugung von Tieren in der Landwirtschaft gelten.

Zu Ziffer 28:

Die zuvor im wesentlichen der Erholung dienenden Naturparke werden nun zusätzlich auf "Arten- und Biotopvielfalt" sowie auf eine "dauerhaft umweltgerechte Landnutzung" eingeschworen. Der bisherige Schutzcharakter wird ökologisch verschärft.

Zu Ziffer 30:

Die Neufassung des Abs. 3 erstreckt das Vorkaufsrecht auch auf zivilrechtlich unwirksame Scheingeschäfte, an denen der Staat nun partizipiert.

Die Pflicht des Notars zur Unverzüglichkeit der Mitteilung ist selbstverständliche Dienstpflicht. Ihre ausdrückliche Nennung unterstellt den Notaren, sie hätten Verträge nicht unverzüglich mitgeteilt, um Grundbucheintragungen vor Ausübung des Vorkaufsrechtes zu ermöglichen.

Die Vorschrift betrifft die Ausübung des Amtes des Notars, und die Amtstätigkeit. Diese Gebiete hat der Bundesgesetzgeber im Rahmen seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 74 Abs. 1 Ziffer 1 GG abschließend im ersten Teil der Bundesnotarordnung geregelt. Dem Land Schleswig-Holstein verbleibt keine Befugnis zur Gesetzgebung.

Mit der Formulierung, wonach das Vorkaufsrecht nicht nur zugunsten einer Stiftung öffentlichen Rechts, sondern auch zugunsten sonstiger Naturschutzstiftungen ausgeübt werden darf, wird der Kreis der Vorkaufsbegünstigten erweitert. Schon bislang war die Ausübung des Vorkaufsrechtes zugunsten eines Naturschutzvereines als nicht öffentlich-rechtlicher Körperschaft außerordentlich problematisch. Die Problematik wird verschärft, wenn nun auch privatrechtliche Naturschutzstiftungen Begünstigte sein können. In der derzeitigen schleswig-holsteinischen Praxis bedeutet die Regelung, daß das Vorkaufsrecht nicht nur zugunsten der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein, sondern auch zugunsten beispielsweise der Schrobach-Stiftung ausgeübt werden könnte. Der freie Grundstücksverkehr wird weiter untergraben.

Zu Ziffer 35:

Absatz 4 sieht die Ermächtigung des MUNF vor, durch Verordnung die Mitwirkungsrechte der Naturschutzverbände noch über den ohnehin schon weiten Rahmen der Ziffern 1 - 7 des Absatzes 3 hinaus auszudehnen. Das ist nicht geboten. Im Gegenteil ist eine Beschneidung der Verbändemacht erforderlich.

Insgesamt ist festzustellen, daß das ohnehin schon handwerklich fehlerhafte, viel zu geschwätzige und zu lange Landesnaturschutzgesetz weiter aufgebläht wird. Die Chancen zu einer nicht nur inhaltlich, sondern auch technisch kreativen Gesetzgebung werden vertan. Es wird nur ergänzt, nirgends gestrichen. Kein einziger der zahlreich kontraproduktiven Konfliktpunkte des bisherigen Gesetzes wird entschärft. Mit einem klassenkämpferischen "Weiter so !" rauscht die legislative Naturschutzbürokratie voraus in den Abgrund.

Rundschreiben 10/2002