Rundschreiben 10/2002


Inhalt

I.

NATURA 2000

1.

Nachmeldungen - 3. Tranche angekündigt

2.

Niedersachsen erklärt Vogelschutzgebiete

3.

Listungsform schließt EuGH-Kontrolle aus

II.

Landesnaturschutzgesetz - Geheimnovellierung

  1. NATURA 2000

  1. Nachmeldungen - 3. Tranche angekündigt

Am Mittwoch, 20.11.2002 hat die Abteilungsleiterin Naturschutz im MUNF, Frau Brahms, einem ausgewählten Kreis von Verbänden die Nachmeldung einer dritten Tranche von FFH-Gebieten aus Schleswig-Holstein angekündigt.

Anders als bei der zweiten Tranche sei nunmehr eine förmliche Öffentlichkeitsbeteiligung mit Auslegung bei den Ämtern geplant, die bereits ab Dezember anlaufen könne. Mit der abschließenden Vorlage einer Gebietskulisse müsse im Mai 2003 gerechnet werden.

Die dritte Tranche wird einen erheblichen Flächenumfang haben und besondere Konflikte mit Nutzungen auslösen.

Die Nachmeldungen gehen, so Frau Brahms, auf die sog. Biogeographischen Konferenzen zurück, die vom 05.06.2002 bis 07.06.2002 für die Atlantische Biogeographische Region in Den Haag (wir berichteten mit Rundschreiben 7/2002) sowie vom 10.11.2002 bis 13.11.2002 für die Kontinentale Biogeographische Region in Potsdam stattgefunden haben.

Als

Anlage 1

ist die im Anschluß an das Atlantische Seminar vom ETC an die Mitgliedstaaten versandte Mängelliste für Deutschland mitsamt einer hier erstellten Teilübersetzung beigefügt.

Als

Anlage 2

ist die Zusammenfassung eines Teilnehmers für das Kontinentale Seminar beigefügt. Die zweifelhafte Methodik der Seminare wird anschaulich geschildert.

Aus den erwähnten Lebensraumtypen und Arten kann darauf geschlossen werden, daß von den Nachmeldungen in erster Linie Wälder, Fließgewässer sowie angrenzende Flächen betroffen sein werden. Es ist absehbar, daß die Schattenlisten der Naturschutzverbände weiter umgesetzt werden.

Betroffenen wird empfohlen, sich frühzeitig mit biologisch-fachlichen Informationen auszurüsten, um qualifizierte Stellungnahmen abgeben zu können. Die Geschäftsstelle unterstützt gern. Die Einzelheiten der Veranstaltung am 20.11.2002 gehen aus dem in

Anlage 3

beigefügten Vermerk hervor.

Die Nachmeldung der dritten Tranche wirft eine Reihe von Fragen auf. Aus ihr kann beispielsweise geschlossen werden, daß die Auswahl der zweiten Tranche mangels Vorliegen aller erforderlichen Informationen auch über Vergleichsgebiete fehlerhaft war. Die Europäische Kommission läßt sich vom demokratisch nicht legitimierten ETC (European Topic Centre on Nature Protection and Biodiversity) zuarbeiten. Dessen Referenzdaten beruhen auf wissenschaftlich nicht haltbaren Schattenlisten der Naturschutzverbände. Die Referenzlisten des ETC beruhen nur auf der Ermittlung von "Vorkommen"; aus ihnen kann deshalb nicht auf Nachmeldebedarf geschlossen werden, weil in der Auswahlphase die Mitgliedstaaten zusätzlich Repräsentativität, Größe und Erhaltungszustand der Lebensraumtypen und Artenpopulationen zu beurteilen hatten.

Diese und viele weitere Fragen bestätigen die von unserem Arbeitskreis seit jeher eingenommenen Rechtsstandpunkte.

Alle Verbände, insbesondere die auf Bundesebene tätigen, sind aufgefordert, von der Bundesregierung und über die Bundesregierung auch von der Europäischen Kommission Auskunft zu den Datengrundlagen der vom ETC als Drohkulisse verwendeten "Referenzlisten" zu erhalten.

In die richtige Richtung weist ein Schreiben des Niedersächsischen Umweltministeriums an die Unternehmerverbände Niedersachsen vom 19.09.2002, in dem "diverse offene Fragen im Zusammenhang mit der endgültigen Definition bestimmter FFH-Lebensraumtypen" eingeräumt werden. Deren Klärung sei von elementarer Bedeutung für die fachliche Plausibilität der seitens der Kommission genannten Defizite.

Die Leitungsebenen der Ministerien sind aufgefordert, ihre "Fachtruppen" nun nicht als willige Vollstrecker fachlich zweifelhafter Wasserstandsmeldungen der Kommission loszuschicken, sondern die Kommissionsdaten kritisch zu hinterfragen.

  1. Niedersachsen erklärt Vogelschutzgebiete

Das Niedersächsische Umweltministerium hat im Niedersächsischen Ministerialblatt eine "Erklärung von Gebieten zu Europäischen Vogelschutzgebieten" veröffentlicht. In dieser "Erklärung" dürfte der förmliche Ausweisungsakt liegen, den der Europäische Gerichtshof für die Entstehung eines Vogelschutzgebietes voraussetzt. Folge ist, daß nicht mehr das strenge Schutzregime des Art. 4 Abs. 4 VSRL Anwendung findet, das teilweise als "Veränderungsverbot" interpretiert wurde, sondern daß über Art. 7 FFH-RL das Schutzregime des Art. 6 FFH-RL i.V.m. §§ 33 ff. BNatSchG Anwendung findet.

Die Erklärung betrifft etwa 60 Gebiete in ganz Niedersachsen.

Gebietskarten liegen bei der Geschäftsstelle vor und können abgefordert werden.

  1. Listungsform schließt EuGH-Kontrolle aus

Im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 09.01.2002 ist die Entscheidung der Kommission vom 28.12.2001 zur Verabschiedung der Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung in der biogeographischen Region Makaronesien gem. der FFH-RL veröffentlicht worden. Die biogeographische Region Makaronesien besteht aus den Inselgruppen der Azoren und Madeiras (Portugal) sowie der Kanaren (Spanien).

Die Veröffentlichung ist deshalb von so grundsätzlicher Bedeutung, weil aus ihr ersichtlich ist, in welcher Form die Europäische Kommission die endgültige Liste über die schließlich ausgewählten FFH-Gebiete bekanntgibt. Von der Form ist nämlich der Rechtsschutz abhängig.

In der Literatur ist verbreitet die Ansicht zu finden, gegen die Listung könnten betroffene Eigentümer Nichtigkeitsfeststellungsklagen nach Art. 230 Abs. 4 EG-Vertrag zum Europäischen Gerichtshof erheben. Immer wieder wird das Argument auch in der Rechtsprechung verwendet, um Rechtsschutz auf den Zeitpunkt nach der Listung zu verschieben. Die veröffentlichte Entscheidung zeigt nun, daß die Voraussetzungen des Art. 230 Abs. 4 EGV bei der Listung nach Art. 4 Abs. 2 FFH-RL nicht vorliegen. Nach Art. 3 der Kommissionsentscheidung vom 28.12.2001 ist diese Entscheidung nämlich an alle Mitgliedstaaten gerichtet. Eine solche an eine andere Person als den betroffenen Eigentümer gerichtete Entscheidung kann nach Art. 230 Abs. 4 EGV nur angefochten werden, wenn sie einen Eigentümer unmittelbar und individuell betrifft. Ob unmittelbare und individuelle Betroffenheit vorliegt, entscheidet sich nach der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes an der Form der Entscheidung. Für individuelle Betroffenheit wird nämlich die namentliche Nennung vorausgesetzt.

In der Liste jedoch ist nur der Name des Gebietes, seine Code-Nummer, das Vorhandensein prioritärer Arten, seine Größe in ha und die geographischen Koordinaten nach Länge und Breite angegeben.

Beispiel: ES7010007 - "Las Dunas de Maspalomas" - * - 362 ha - N 27 44 - W 15 35".

Sofern sich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Auslegung von unmittelbarer und individueller Betroffenheit nicht ändert, ist deshalb eine Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen die Listung nach Art. 4 Abs. 2 FFH-RL nicht möglich.

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  1. Landesnaturschutzgesetz - Geheimnovellierung

Das Landesartikelgesetz zur Umsetzung der Europäischen Umweltrichtlinien war am 04.09.2002 Gegenstand der Sitzung des Umweltausschusses des Schleswig-Holsteinischen Landtages. Dort wurde bemängelt, daß das Landesartikelgesetz noch nicht die Änderungserfordernisse aus der Neufassung des Bundesnaturschutzgesetzes berücksichtigt. Um dies zu erreichen, also das Landesnaturschutzgesetz nur in einem Durchgang zu novellieren, hat der Umweltausschuß um Unterstützung durch die Landesregierung gebeten. Nun hat Umweltminister Müller mit Schreiben vom 06.11.2002 an den Umweltausschuß (Landtagsdrucksache 15/2687) einen "Formulierungsvorschlag zur Umsetzung der letzten Novelle des Bundesnaturschutzgsetzes" vorgelegt.

Das Vorgehen ist beachtlich. Unverhohlen arbeitet die rot-grüne Mehrheit im Parlament der Landesregierung zu. Das Parlament ist in der Gefahr, seine Kontrollfunktion zu verlieren und zum Exekutivorgan der Regierung zu werden.

Vor diesem Hintergrund ist es besonders wichtig, jeden einzelnen Abgeordneten zu stärken und ihn auf die Mängel der Regierungsvorlage hinzuweisen.

In

Anlage 4

finden Sie beigefügt eine vollständige Kopie des Formulierungsvorschlages der Landesregierung sowie stichwortartige Anmerkungen dazu.

Hervorzuheben ist:

  • Die Systematik der vorrangigen Flächen für den Naturschutz wird verändert. Biotopverbundflächen, die bisher ein Unterfall der vorrangigen Flächen für den Naturschutz waren, treten neben den nun auch durch Teile von Landschaftsschutzgebieten aufgefüllten Begriff der "vorrangigen Flächen für den Naturschutz".

  • Die im letzten Rundschreiben kritisierten "Mindestdichten ökologischer Saumstrukturen" sollen festgeschrieben werden.

  • Die Bindungswirkung der Landschaftsplanung wird verstärkt

  • Die Ermächtigung zur weiteren Definition guter fachlicher Praxis in der Landwirtschaft durch Verordnung wird erteilt.

  • Die Ausnahmemöglichkeiten bei Baumschutzsatzungen werden eingeschränkt.

  • Das Vorkaufsrecht wird erweitert.

  • Die Rechte der Naturschutzverbände werden verstärkt.

Nur am Rande sei bemerkt, daß durch dieses Vorgehen die übliche Verbändebeteiligung und Diskussion im Stadium des ministeriellen Referentenentwurfes sowie die erste Lesung im Parlament umgangen wird.

gez. Dr. Giesen


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