Referentenentwurf (BMU)
zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes und weiterer
Rechtsvorschriften vom 25.10.2006
- Eine erste Bewertung -
Der Entwurf bringt tiefgreifende
Rechtsänderungen und wandelt den Charakter des Artenschutzrechtes in ein
flächendeckendes Schutzregime. Ungeachtet europarechtlicher Vorgaben
bleibt zu hinterfragen, ob dies sinnvoll ist. Sind alle Anhang IV -
Arten gefährdet ? Was ist mit den gefährdeten Arten, die nicht in Anhang
IV FFH-RL (Redaktionsjahr: 1992) enthalten sind ? Wie lösen sich die
Konkurrenzen zum europäischen, bundes- und landesrechtlichen
Gebietsschutz auf ?
Der Entwurf gibt eine "1 : 1 -
Umsetzung" als Leitbild vor. Dieses Ziel mag für einzelne der
vorgeschlagenen Neuregelungen verfolgt werden. Aus dem systematischen
Zusammenhang der vorgeschlagenen Neuregelungen zum vorhandenen
Rechtsbestand ergibt sich im Ergebnis jedoch eine weit über die berühmte
"1 : 1 - Umsetzung" hinausreichende Verschärfung des nationalen Rechts.
Sie ergibt sich aus der unverändert fortgeltenden Definition der
"besonders geschützten" und der "streng geschützten" Arten in § 10 Abs.
2 Ziffern 10 und 11 BNatSchG. Die Arten nach Anhang IV FFH-RL, die den
Anlaß zur Neuregelung gegeben haben, stellen nur einen kleinen Teil der
von diesen beiden Definitionen umfaßten Arten dar. Beispielsweise sind
alle europäischen Vogelarten nach § 10 Abs. 2 Nr. 10 Bst. b) Ubst.
bb) BNatSchG besonders geschützte Arten, für die fortan das neue,
strenge Schutzregime gelten soll. Der Entwurf versäumt die Ausbildung
eines differenzierten Schutzregimes mit dem Ziel, zwar für die Anhang IV
- Arten wie vom EuGH gefordert, die Richtlinie umzusetzen, ansonsten
aber das Schutzniveau für nichtschutzbedürftige Arten beizubehalten
oder sogar zu senken.
Mit anderen Worten: Die Neuregelung
unterwirf erheblich mehr Arten dem strengen Schutzregime, als
europarechtlich geboten.
Im einzelnen:
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Der Entwurf bringt eine
Neudefinition des Projektbegriffes. In der Begründung heißt es, es
werde "der Projektbegriff der FFH-Richtlinie" übernommen. Der
Begriff des Projektes ist indes in der FFH-Richtlinie gar nicht
geregelt. Auch der Europäische Gerichtshof hat sich bislang nicht
abschließend zu der Frage geäußert, was ein Projekt im Sinne der
FFH-Richtlinie ist. Im Urteil vom 07.09.2004 in der Rechtssache
C-127/02 (Herzmuschelfischerei) heißt es lediglich, daß der
Vorhabensbegriff der UVP-Richtlinie erheblich zur Ermittlung des
Begriffes Plan oder Projekt im Sinne der Habitatrichtlinie sei. Es
ist also möglich, nicht wie mit dem Entwurf letztlich "alles" zum
Projekt zu machen, was geeignet ist, ein Gebiet von
gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches
Vogelschutzgebiet erheblich zu beeinträchtigen, sondern etwa an das
anzuknüpfen, was das geltende Recht als unerhebliche
Beeinträchtigung bewertet, etwa der weite Bereich genehmigungs- und
anzeigefreier Vorhaben. Auch Schwellenwerte könnten geeignet sein,
die uferlose Reichweite des Projektbegriffes einzugrenzen. Es muß
sichergestellt werden, daß Unerhebliches von vornherein aus dem
Projektbegriff und damit aus der Anwendung des Gebietsschutzregimes
ausgenommen bleibt. Der Europäische Gerichtshof hat lediglich die
im geltenden Recht "künstlich" wirkende Unterscheidung zwischen
Beeinträchtigungen von innerhalb oder von außerhalb eines
Schutzgebietes gerügt und europarechtlich stringent ausgeführt, es
komme auf den Zentralbegriff der erheblichen Beeinträchtigung an.
Im Beschluß vom 19.09.2006, Rechtssache T-80/05, hat das
Europäische Gericht erster Instanz den erheblichen Spielraum der
Mitgliedstaaten bei der Beurteilung dessen hervorgehoben, was
erheblich beeinträchtigt und was nicht.
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Der neue § 34 Abs. 1 a) führt eine
Anzeigepflicht für dieses "alles" ein, was vom neuen Projektbegriff
umfaßt ist. Mit anderen Worten: Freies Handeln ohne eine Anzeige an
die Behörde wird unmöglich gemacht. Wer handelt, ohne seine
Handlung zuvor bei der Behörde anzuzeigen, handelt jedenfalls
formell rechtswidrig - eine fundamentale Umkehrung aller
Vorstellungen von Freiheit.
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§ 36 des geltenden Rechts wird
aufgehoben. Die Vorschrift bildete die Verschränkung des alten
Projektbegriffes mit den Tatbeständen des
Immissionsschutzrechtes. Sie stellte sicher, daß stoffliche
Belastungen dem FFH-Schutzregime unterfallen, auch wenn sie das
anlagenbezogene Immissionsschutzrecht freistellte.
Die Streichung des alten § 36 ist in
Anbetracht des neuen Projektbegriffes konsequent, macht aber auch
die Reichweite des neuen Projektbegriffes deutlich. Waren wir es
bislang gewohnt, daß das Tätigwerden von Behörden an
spezialgesetzliche Tatbestände gebunden war, dann gilt nun in
Verbindung mit den allgemeinen Vorschriften der Gefahrenabwehr eine
generelle Handlungsermächtigung.
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Der neue § 39 Abs. 2 Satz 1 betrifft
die Konkurrenz des Artenschutzrechtes zu den Vorschriften des
Pflanzenschutzrechts, des Tierschutzrechts, des Seuchenrechts sowie
des Forst-, Jagd- und Fischereirechts. Das geltende Recht ließ diese
Vorschriften von den artenschutzrechtlichen Vorschriften unberührt
mit der Folge, daß etwa die Auflistung der jagbaren Arten im
Jagdrecht oder die Schädlingsbekämpfung keine Rücksicht auf
eventuell einschlägiges Artenschutzrecht nehmen mußte. Dies wird
nun abhängig von der Beantwortung der Frage anders, ob die jeweilige
Vorschrift des Fachrechts nicht (auch) dem Artenschutzrecht dient.
Wird diese Frage in Auslegung des Fachrechts bejaht, wirkt das neue
Artenschutzrecht in die genannten Materien des Fachrechts hinein -
mit unübersehbaren Folgeauswirkungen in diesen sehr abgelegenen und
nur wenigen Fachleuten bekannten, aber gleichwohl die Praxis stark
berührenden Rechtsmaterien.
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Der neue § 42 Abs. 1 bringt eine
geänderte Formulierung der Zugriffsverbote. Es heißt in der
Begründung, damit seien gegenüber dem bisherigen Rechtszustand nur
geringfügige Änderungen verbunden. Gegenteiliges ist derzeit nicht
ersichtlich.
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Der neue § 42 Abs. 4 Satz 1 regelt
die ganz wichtige Ausnahme vom Zugriffsverbot für den Bereich der
land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung. Ihre gute
fachliche Praxis verstößt nicht gegen die Zugriffs- und
Vermarktungsverbote, soweit sich der Erhaltungszustand der
lokalen Population einer Art durch sie nicht verschlechtert.
Vom Grundansatz her ist diese
Vorschrift zu begrüßen. Sie stellt auf die Population ab und nicht
auf das Individuum einer Art.
Allerdings ist fraglich, ob dieser
Ansatz im weiteren Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens in
Anbetracht des Stralsund-Urteiles des Bundesverwaltungsgerichtes
durchsteht. Die Formulierung geht offenbar auf das im fünften
Entwurf mit Stand April 2006 vorliegende "guidance document" zurück;
es kann also davon ausgegangen werden, daß die Formulierung vor den
Augen der Europäischen Kommission Bestand hat. Deshalb ist
praktisch unerheblich, ob das Bundesverwaltungsgericht in seiner
Rechtsprechung mehr oder weniger überlegt die europarechtlichen
Vorgaben verschärft hat. Es ist davon auszugehen, daß die
Bezugnahme auf die lokale Population zulässig ist.
Es wird allerdings die Frage
aufgeworfen, was eine "lokale" Population ist. Der Begriff ist
biologisch nicht definiert. Gemeint ist offenbar die „reproduktive
Population“, also eine Artenpopulation, die im Sinne einer
Fortpflanzungsgemeinschaft untereinander im Austausch steht. Der
Begriff paßt aber nur für koloniebildende Arten. Bei weit
verbreiteten Arten ist seine Geltung problematisch, da deren
Bestände ineinander übergehen. Sicher jedenfalls ist, daß der
Begriff der lokalen Population nur artbezogen angewendet werden
kann. Verwaltungsgliederungen kommen nicht in Betracht.
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Der neue § 42 Abs. 4 Satz 2
errichtet Rechtsfolgen für den Fall, daß die land-, forst- und
fischereiwirtschaftliche Bodennutzung doch den Erhaltungszustand der
lokalen Population einer europäisch geschützten Art verschlechtert.
Die zuständige Behörde soll in diesem Fall „die erforderlichen
Bewirtschaftungsvorgaben“ erlassen.
Hier ist zunächst fraglich, was mit
den „erforderlichen Bewirtschaftungsvorgaben“ gemeint ist. Es fehlt
dem Gesetz nämlich an der sog. „VA-Ermächtigung“, also der
Ermächtigung der Behörde, den Einzelfall durch Verwaltungsakt zu
regeln.
Außerdem ist fraglich, ob die
Behörde vor Erlaß der erforderlichen Bewirtschaftungsvorgaben
belegen muß, daß die Verschlechterung durch anderweitige
Schutzmaßnahmen, insbesondere durch Maßnahmen des Gebietsschutzes,
Artenschutzprogramme oder vertragliche Vereinbarungen nicht
abgewendet werden konnte oder nicht abwendbar war. In letzterem
Falle würde von der Behörde lediglich eine Prognose verlangt, ohne
daß die genannten Maßnahmen real durchgeführt werden müßten.
Die Vorschrift ist insgesamt wohl
bewußt undeutlich formuliert worden, um eine Art „mediterranen
Vollzug“ zu ermöglichen. Das mag vom Grundsatz her zu begrüßen
sein; fraglich ist allerdings, ob derartige Maßstäbe unter dem
verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsgebot einreißen dürfen.
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§ 42 Abs. 5 sanktioniert wohl die
„Empfehlung“ der Stralsund-Entscheidung, die Fortpflanzungs- und
Ruhestätten zu einem Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen, zu denen sie
nicht besetzt sind. Kehren die ziehenden Arten dann zurück, sind sie
gezwungen, andere Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen
Zusammenhang zu den zerstörten zu besetzen.
Im
Stralsund-Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht auch ausgeführt,
daß die artenschutzrechtlichen Verbote durch Ausgleichs- oder
Ersatzmaßnahmen grundsätzlich nicht kompensierbar seien; das
Bundesverwaltungsgericht hat das sachliche Verbot eines „beliebigen
Verschiebens“ zur Expansion von Siedlungsflächen bekräftigt.
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Der neue § 42 Abs. 6 kann nur als
weiterer Beitrag zum mediterranen Vollzug gewertet werden. Danach
gelten die Zugriffsverbote bei genehmigten Eingriffen nicht für
besonders geschützte Tierarten, die nicht gefährdet sind und mit
gefährdeten Arten nur verwechselt werden können. Es fragt sich
natürlich, warum solche Tierarten dann zu den „besonders
geschützten“ zählen und warum dieselbe Privilegierung besonders
geschützten Pflanzenarten vorenthalten werden soll. Der Wortlaut ist
nicht verständlich und die Vorschrift erhält auch unter Zuhilfenahme
der Gesetzesbegründung keinen großen Sinn.
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Der neue § 43 Abs. 8 spricht in
Ziffer 1. ähnlich wie das geltende Recht von land-, forst-,
fischerei-, wasser- oder sonstigen gemeinwirtschaftlichen
Schäden. Diese Redeweise nimmt den einzelbetrieblichen Schaden aus
dem Ausnahmetatbestand heraus. Die Ausnahmezulassung setzt Schäden
von volkswirtschaftlichem Ausmaß voraus. Schäden von
betriebswirtschaftlichem Ausmaß reichen nicht. Das Problem ist aus
der Rechtsprechung zu den artenschutzrechtlichen Ausnahmen bei
Kormoranvergrämungen hinreichend bekannt. Obwohl beispielsweise
einzelne Binnenfischereibetriebe schwerst durch Kormorane geschädigt
werden, scheiterten Ausnahmen bislang am noch vorhandenen Bestand
von Binnenwirtschaft. Die Silben „gemein“ müssen unbedingt
gestrichen werden.
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Der neue § 43 Abs. 8 Satz 3 setzt
vor die Gewährung einer Ausnahmezulassung die Prüfung zumutbarer
Alternativen. Eine Alternativenprüfung kennt Art. 16 FFH-RL als
solche nicht. Zwar ist in Art. 16 Abs. 3 Bst. a) FFH-RL von
„Alternativlösungen“ die Rede, doch sind diese lediglich in den
Berichten zur Anwendung des Artenschutzes anzusprechen. Zur
tatbestandlichen Voraussetzung für Ausnahmen werden Alternativen
damit nicht erhoben.
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Der neue § 52 Abs. 6 a) bringt eine
Verordnungsermächtigung für das BMU, durch Rechtsverordnung
allgemeine Anforderungen an Bewirtschaftungsvorgaben für die
land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung
festzulegen. Fraglich ist zunächst, ob tatsächlich Anforderungen an
die Bewirtschaftungsvorgaben gemeint sind, oder ob die
Bewirtschaftung selbst Anforderungen durch die Verordnungen
ausgesetzt werden soll.
Eine derartige Ermächtigung ist in
jedem Fall strikt abzulehnen. Für die Bewirtschaftung gilt das
eiserne Gesetz des Örtlichen. Die Bewirtschaftung entzieht sich
allgemeinen Anforderungen. Die Regelung von allgemeinen
Anforderungen führt zur Gleichförmigkeit der Bewirtschaftung und
diese letztlich zur Monotonisierung der Kulturlandschaften Die
Vorschrift erweist dem Artenschutz einen Bärendienst. Die Vielfalt
der aus unterschiedlicher Bewirtschaftung hervorgehenden
Kulturlandschaft ist die beste Voraussetzung für Artenschutz.
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Der neue § 62 wechselt vom
Tatbestand der „nicht beabsichtigten Härte“ des geltenden Rechts zum
Tatbestand der „unzumutbaren Belastung“. Dies wird begrüßt, da nach
der Rechtsprechung eine Belastung unzumutbar, aber gleichwohl
beabsichtigt sein kann mit der Folge, daß Befreiungen nicht gewährt
werden dürfen.
Es kann nicht im Interesse des
Rechtes sein, unzumutbare Belastungen zu tolerieren. Die
Ermessensvorschrift muß deshalb auf eine gebundene Rechtsfolge
umgestellt werden. Die Befreiung „kann“ nicht nur auf Antrag gewährt
werden, sie „ist“ auf Antrag zu gewähren, wenn die Durchführung der
Vorschrift im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen
würde. Dies erfordert schon das verfassungsrechtliche Übermaßverbot.
Kiel, den 22.11.2006
Dr. Giesen
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht |