Rundschreiben 9/2005


  1. NATURA 2000: Erhaltungsziele

Im Amtsblatt sollen Erhaltungsziele für die NATURA 2000 - Gebiete bekanntgemacht werden. Sie bilden sowohl den Maßstab für die Bestimmung der gebietsbezogenen Anforderungen bei der Schutzerklärung im Sinne von § 20 d) Absatz 2 LNatSchG, als auch bei der Bestimmung der Reichweite des gesetzlichen Verbots aus § 20 d) Abs. 4 LNatSchG und bei der Verträglichkeitsprüfung nach § 20 e) Abs. 3 LNatSchG.

Dazu stellen sich die Fragen, ob der Text Erhaltungsgegenstände aufzählen darf und ob sich die Erhaltungsziele auf jedes Vorkommen von Lebensraumtypen oder Arten im Gebiet beziehen dürfen.

  1. Die Aufzählung eines "Erhaltungsgegenstandes" in den zur Veröffentlichung im Amtsblatt vorgesehenen Texten ist unzulässig. Was Erhaltungsgegenstand ist, ergibt sich einzig und allein aus dem Standarddatenbogen. Der Erhaltungsgegenstand ist vom Erhaltungsziel zu unterscheiden. Neben die Angaben zum Erhaltungsgegenstand aus dem Standarddatenbogen darf keine Konkurrenzbeschreibung treten.

Eine im Amtsblatt veröffentlichte - also offenbar von der Ministerialverwaltung als bindend vorgesehene - Konkurrenzbeschreibung des Erhaltungsgegenstandes wäre nach dem "Kurzgutachten" und dem eigentlichen zur Meldung verwandten Standarddatenbogen nun die dritte für die Reichweite des Schutzregimes erhebliche Quelle. Wir haben schon seinerzeit darauf hingewiesen, daß die Kurzgutachten als Gegenstand des Beteiligungsverfahrens zu kurz greifen, denn es handelt sich nicht um die offiziell zur Meldung zu verwendenden Dokumente; dies ist nur der Standarddatenbogen als das nach Art. 4 Abs. 1 Unterabsatz 2 FFH-RL vorgeschriebene Formular.

Maßgeblich für das, was geschützt wird, den Gegenstand der Erhaltung, ist der Standarddatenbogen und seine Angaben. Daneben darf keine weitere - rechtlich erhebliche - Schilderung des Schutzgegenstandes treten.

  1. Es gibt auch keine Pflicht, die Erhaltungsziele auf jedes Vorkommen von FFH-LRT und Arten zu beziehen.

Die Pflicht folgt nicht aus der Begriffsdefinition nach § 10 Abs. 1 Ziffer 9. BNatSchG. Das Wort "vorkommen" in dieser Norm ist nicht mit dem besetzten Begriff des "Vorkommens" zu verwechseln.

Es heißt dazu in den einschlägigen, auch von der LANA anerkannten, Auslegungshinweisen der Europäischen Kommission zu Art. 6 FFH-RL wörtlich (Ziffer 4.5.3):

"Die Informationen, die gemäß dem von der Kommission ausgearbeiteten Standarddatenbogen übermittelt werden, nutzen die Mitgliedstaaten als Grundlage für die Festlegung der Erhaltungsziele für das Gebiet".

Wenn die Europäische Kommission also von Grundlage spricht, geht sie selbst nicht davon aus, daß sich die Erhaltungsziele umfassend (im Sinne einer "1 : 1 - Umsetzung" ...) auf die Informationen im Standarddatenbogen beziehen.

So heißt es denn in den Auslegungshinweisen nur wenige Zeilen zuvor auch konkretisierend weiter:

"Immer dann, wenn die Nennung von Lebensraumtypen des Anhangs I oder Arten des Anhangs II als "nicht erheblich" im Sinne des Datenbogens angesehen wird, sollten diese nicht als zu den "Erhaltungszielen für das Gebiet" gehörig eingestuft werden. Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, neben den Informationen über die in Anhang II genannten bedeutenden Arten der Fauna und Flora, Angaben über andere bedeutende Arten der Fauna und Flora (Punkt 3.3 im Standarddatenbogen) vorzulegen. Diese Informationen spielen aber bei der Festlegung der Erhaltungsziele für ein Gebiet keine Rolle".

Daraus folgt:

Bezugspunkt für alle Angaben ist nach Ansicht der Europäischen Kommission "das Gebiet". Mit dem Zuschnitt des "Gebietes" kann gearbeitet werden; hier haben die Mitgliedstaaten großen Spielraum.

In den Erläuterungen zum Standarddatenbogen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 24.04.1997 Nr. L 107/20 ff.) bestimmt die Europäische Kommission nicht, wann ein Lebensraumtyp oder eine Art "vorkommt". Es werden lediglich Ausfüllhinweise zu den ökologischen Angaben gegeben. Vielmehr wird (Seite 28 sub 3.1) von einem "prozentualen Flächenanteil" gesprochen, den ein Lebensraumtyp von der Fläche des Gebiets "einnehmen" muß. Dabei wird ausdrücklich die Möglichkeit vorgesehen, daß ein Lebensraumtyp in einem bestimmten Gebiet "nicht signifikant vorhanden ist". In diesem Fall ist er im Standarddatenbogen mit der Wertung "D" anzugeben.

Entsprechendes gilt für Arten, bei denen notiert werden soll, ob und wann sie in dem Gebiet "anzutreffen" sind. Auch hier besteht die Möglichkeit, daß eine Population in "nicht signifikanter Art" auftritt.

Festzuhalten ist also, daß nicht jedes Vorkommen maßgeblich, sondern, vielmehr daß eine Bewertung des Vorkommens gefragt ist. In diesem Sinne ist also § 10 Abs. 1 Ziffer 9. BNatSchG zu verstehen.

Davon geht auch die Literatur aus. Es heißt bei Apfelbacher/Iven (Naturschutz, Landschaftspflege, Stand Juli 2005, § 10 BNatSchG Rz. 30):

"Bezugsgegenstand der Erhaltungsziele sind die Biotope und Arten, für deren Erhaltung und Wiederherstellung das jeweilige Gebiet in das Netz NATURA 2000 eingefügt wird. ... Zu berücksichtigen sind jeweils aber nur die Biotope und Arten, deren Vorkommen signifikant und entsprechend im Standarddatenbogen eingetragen ist. "Nicht signifikante" Vorkommen, d.h. für das Schutzziel des Gebietes nicht bedeutsame fragmentarische oder sehr kleinflächige Restvorkommen eines Biotops oder einer Art, die für die Gebietsaufnahme in das Netz "NATURA 2000" keine Bedeutung haben (im Standarddatenbogen unter 3.1 mit "D" bewertet), sind von den Erhaltungszielen nicht erfaßt".

Sogar bei Gassner (BNatSchG, 2. Auflage, § 10 Rz. 8), sonst ein "Frontmann" der Naturschutzverbände, heißt es:

"Art. 6 Abs. 3 FFH-RL spricht ausdrücklich von "den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen". Folgerichtig schreibt daher Art. 4 Abs. 4 FFH-RL vor, daß die Prioritäten nach Maßgabe der Wichtigkeit dieser Gebiete für die Wahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes ... und für die Kohärenz des Netzes NATURA 2000 sowie danach festgelegt werden, inwieweit diese Gebiete von Schädigung oder Zerstörung bedroht sind. Es kommt also auf gebietsgerechte Dezision (Spezifizierung, Abstufung, Differenzierung) an ... Ein Ziel ist eine Soll-Größe, keine Ist-Größe".

Die Festlegung von Erhaltungszielen dürfte im übrigen eine der Maßnahmen sein, für die Art. 2 Abs. 3 FFH-RL vorgibt:

"Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen tragen den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung ".

Es ist deshalb nicht nur vertretbar, sondern sogar zu fordern, daß die Erhaltungsziele in einem Akt wertender Erkenntnis gebietsspezifisch definiert werden und daß die zuständige Naturschutzverwaltung sich hierbei ihres Spielraumes bewußt ist.

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  1. Überarbeitung des Gesamtplanes Grundwasserschutz

Die neue Landesregierung hat, was sehr zu begrüßen ist, den Gesamtplan Grundwasserschutz überarbeitet. Daraus folgt ein erheblich gekürztes Programm zur Ausweisung von Wasserschutzgebieten. Es ist nachfolgend vollständig abgedruckt.

gez. Dr. Giesen

Anlage

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