Rundschreiben 11/2004


Inhalt
I. Antworten auf unsere "Wahlprüfsteine"
II. NATURA 2000
  1. Eiderstedt: Protokoll der mündlichen Verhandlung
  2. Überblick Teil 1: Hessen, Sachsen, Thüringen
  3. Überblick Teil 2: Neue EU-Mitgliedstaaten
  4. Kosten: Sachverständigenrat für Umweltfragen
III. Rechtsprechung
  1. BGH: Haftung für Naturschutz im Nachbarrecht
  2. BVerfG: Relevanz ausländischer Gerichtsentscheidungen für die Auslegung des Europarechts
IV. Agrarreform: Cross-Compliance-Verordnung
V. Sonstiges
  1. Antworten auf unsere "Wahlprüfsteine"

Die Sozialdemokratische Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag hat auf die Wahlprüfsteine, die Grundlage unserer Podiumsdiskussion am 25.01.2005 sein sollen, als erste geantwortet. Wir dokumentieren die Antwort hier als Anlage 1. Die FDP-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag hat mit dem in Anlage 2 beigefügten Schreiben reagiert.

 

Bitte weisen Sie nicht nur im Kreise Ihrer Mitglieder auf die Podiumsdiskussion hin und regen Sie die Teilnahme an. Auf Wunsch verschicken wir auch gerne weitere Einladungen an von Ihnen benannte Adressen.

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  1. NATURA 2000

  2. Eiderstedt: Protokoll der mündlichen Verhandlung

Am 26.10.2004 hat vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht, 1. Kammer, die mündliche Verhandlung über den Antrag von vier Eiderstedter Gemeinden auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen das Vogelschutzgebiet stattgefunden. Die Anträge wurden nach über elfstündiger Verhandlung und Beratung abgelehnt.

 

In der Erörterung ging es insbesondere auch um die Frage, ob die Mitgliedstaaten an die Europäische Kommission gemeldete Vogelschutzgebiete "zurücknehmen" können. Wenn dies der Fall wäre, sei die Verweisung auf späteren Rechtsschutz zumutbar, so die von Teilnehmern an der mündlichen Verhandlung berichtete Begründungstendenz des Gerichts. Die schriftlichen Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor.

 

Interessant ist das Protokoll über die mündliche Verhandlung vor allem deshalb, weil Herr Dr. Fritz Dieterich, zuständiger Referatsleiter im Bundesumweltministerium als Zeuge zum Verfahren der Entstehung eines Vogelschutzgebietes befragt wurde. Nach wie vor ist ja nicht ganz klar, durch welchen Rechtsakt ein Europäisches Vogelschutzgebiet konstitutiv entsteht. Die Aussagen des Zeugen sind umfangreich protokolliert.

 

Der Zeuge hat u.a. bekundet:

"Eine Koordinierung der unterschiedlichen fachlichen Auswahlkonzepte der Bundesländer für die Benennung der Gebiete findet auf Bundesebene ebensowenig statt, wie eine Koordinierung der auf der Grundlage dieser Auswahlkonzepte gemachten Gebietsvorschläge".

Auch heißt es:

"Erst wenn das Land sich endgültig zu einer eigenen Haltung zu der Stellungnahme des Bundes durchgerungen hat, und dies dem Bund mitgeteilt hat, ist aus unserer Sicht der Benehmensprozeß abgeschlossen. ... Das Land hat uns mit Schreiben vom 02.07.2004 seine endgültige Haltung mitgeteilt".

Zum Meldestand heißt es auch:

"Die nachgemeldeten Gebietsvorschläge von Schleswig-Holstein sind mit Ausnahme der hier streitigen Flächen bereits an die Kommission gemeldet worden. Wir bemühen uns nun um eine zeitnahe Veröffentlichung im Bundesanzeiger. Ob das noch in diesem Jahr geschehen kann, hängt davon ab, ob die Veröffentlichungsvermerke, die mit Akribie beim Land vorbereitet werden müssen, so zeitig bei uns eingehen".

Das Protokoll über die mündliche Verhandlung und der Vermerk eines Prozeßbeobachters können bei der Geschäftsstelle abgefordert werden.

 

Ein Rechtsgutachten zu den Rechtsschutzmöglichkeiten erstellt im Auftrag der Interessengemeinschaft "Rettet Eiderstedt" mit Stand vom Juni 2004, vorgelegt von den Rechtsanwälten Füßer und Kollegen, Leipzig, kann im Internet unter www.pro-eiderstedt.de eingesehen werden.

 

Protokoll, Vermerk und Gutachten können auf unserer Website hier abgerufen werden.

  1. Überblick Teil 1: Hessen, Sachsen, Thüringen

In Hessen soll die Sicherung aller FFH-Gebiete durch Managementpläne erfolgen. Diese sollen durch staatliche Stellen und nicht durch private Büros erstellt werden. Auf einen Einführungserlaß wie in Thüringen oder Sachsen will Hessen im Interesse von Verwaltungsvereinfachung und flexibleren Lösungen verzichten.

 

In Sachsen werden weiterhin Managementpläne für FFH-Gebietsvorschläge durch private Büros erstellt. Derzeit laufen Ausschreibungen. Die Hauptkartierungen sollen mit der Vegetationsperiode im Frühjahr 2005 beginnen.

 

In Thüringen wird bis Ende 2004 ein Einführungserlaß mit aktualisierten Daten zu den Gebietsvorschlägen im Thüringer Staatsanzeiger veröffentlicht. Für den Teilbereich "Umsetzung FFH im Wald" soll bis Mitte 2005 nach Verbandsanhörung ein Rahmenkonzept erarbeitet werden.

 

Vorstehende Informationen sind einem Rundbrief des Grundbesitzerverbandes in Hessen, Thüringen und Sachsen entnommen.

  1. Überblick Teil 2: Neue EU-Mitgliedsstaaten

Am 1. Mai 2004 sind zehn neuen Mitgliedsstaaten der EU beigetreten: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern. Sie sind gemäß dem Beitrittsvertrag zur Europäischen Union, der am 16. April 2003 in Athen unterzeichnet wurde, verpflichtet, das Recht der Europäischen Gemeinschaften (acquis communautaire) in nationales Recht umzusetzen.

 

Für den Umweltschutz bedeutet dies insbesondere, daß die neuen Mitgliedsstaaten alle rechtlichen Erfordernisse der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (Richtlinie 92/43/
EWG, FFH-Richtlinie) und der Vogelschutzrichtlinie (Richtlinie 79/409/EWG) in nationales Recht umsetzen müssen. Die FFH-Richtlinie und die Vogelschutzrichtlinie verlangen dabei die Schaffung von Schutzgebieten, die zusammen das Schutzgebietsnetz Natura 2000 bilden sollen. Die neuen Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, diese Schutzgebiete in einer nationalen Liste der Europäischen Kommission in Brüssel vorzuschlagen und auf die Bewertung und Festlegung durch die Kommission hin diese Gebiete auszuweisen.

 

Im Rahmen des Beitritts wurden nur die Anhänge der beiden Richtlinie geändert, um die in den Beitrittsländern vorkommenden, bisher nicht erfaßten Lebensraumtypen, Arten und die neue Biogeographische Region, die „pannonische Region“, zu erfassen. Rechtsgrundlage hierfür ist das Kapitel Umwelt im Beitrittsvertrag.

 

Für die Beitrittsländer gelten daher die gleichen Umsetzungsfristen wie für die bisherigen Mitgliedstaaten; es wurde lediglich eine Ausnahme für den Vogelfang auf Malta bis zum Jahr 2008 zugelassen. Sonstige Übergangsfristen wurden nicht eingeräumt. Dies bedeutet, daß die Neumitglieder verpflichtet waren, die nationale Liste mit den Schutzgebietsvorschlägen bis zum Beitritt am 1. Mai 2004 nach Brüssel zu übermitteln; für die Erstellung dieser Liste hatten sie eine lange Vorlaufzeit im Rahmen der Beitrittsvorbereitungen. Innerhalb von drei Jahren nach dem Beitritt muß der Auswahlprozeß auf der Ebene der Biogeographischen Regionen abgeschlossen und die Gemeinschaftsliste erstellt sein. Innerhalb von neun Jahren muß die nationale Schutzgebietsausweisung aufgrund der Gemeinschaftsliste endgültig erfolgt sein.

 

Ein Vermerk zum aktuellen Umsetzungsstand in den Beitrittsstaaten kann von der Geschäftsstelle abgefordert werden. Er ist auf der Website unseres Arbeitskreises über diesen Link abrufbar.

  1. Kosten: Sachverständigenrat für Umweltfragen

Mit Bundestagsdrucksache 15/3600 hat Anfang Juli der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen sein Gutachten 2004 vorgelegt. Es trägt die Überschrift: "Umweltpolitische Handlungsfähigkeit sichern" und befaßt sich in den Abschnitten 150 ff. mit der Finanzierung der Folgekosten von NATURA 2000.

 

Der Finanzbedarf wird noch weit höher veranschlagt als die - vom Umweltminister als überhöht angegriffenen - Schätzungen unseres Arbeitskreises.

 

Unter Berufung auf den LANA-Ausschuß "Flächenschutz" veranschlagen die Sachverständigen den Finanzierungsbedarf auf 126,00 €/ha und Jahr. Gerechnet auf einen zehnjährigen Betrachtungszeitraum für die Jahre 2003 bis 2012 ermitteln die Sachverständigen einen Finanzierungsbedarf von 4,9 Mrd. € (!), und zwar auf der Basis der Gebietsmeldungen nach der zweiten Tranche.

 

Die Tranchen der Nachmeldungen dürften bundesweit weitere 2 Mrd. € erforderlich machen.

 

Auf derselben Grundlage veranschlagt das Umweltgutachten einen Finanzbedarf von 6 % des Gesamtbudgets der Europäischen Union (!).

 

Das Umweltgutachten resümiert lakonisch:

"Es ist bereits tägliche Praxis und weiterhin absehbar, daß Finanzmittel und Personalkapazitäten in den Ländern zunehmend auf die Umsetzung von NATURA 2000 konzentriert werden. Damit droht anderen Naturschutzaufgaben eine weitgehende Vernachlässigung".

Und weiter:

"Diese Herausforderung ist insbesondere angesichts der derzeitigen Haushaltslage von Bund und Ländern nur mit europäischer Unterstützung zu meistern. ... Auf europäischer Ebene wurde die Frage der Finanzierung von NATURA 2000 bislang ebenfalls vernachlässigt. ... Die finanzielle Größenordnung kam sowohl für die Mitgliedstaaten als auch für die EU-Kommission unerwartet".

Die Auszüge aus dem Umweltgutachten können von der Geschäftsstelle abgefordert werden und sind auf unserer Website hier verlinkt.

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  1. Rechtsprechung

  2. BGH: Haftung für Naturschutz im Nachbarrecht

Der dritte und der fünfte Zivilsenat des Bundesgerichtshofes scheinen unterschiedlicher Ansicht zur Reichweite des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruches bei naturschutzbedingten Gefahrenlagen zu sein.

 

Im mit Urteil vom 17.09.2004, V ZR 230/03, entschiedenen Fall ging es um Bäume, die als geschützter Landschaftsbestandteil (Baumschutzsatzung) unter Naturschutz standen. Im Zuge einer Baugenehmigung war der Beklagten das Roden eines Teiles des Baumbestandes gestattet worden. Nach Abschluß der Rodungsarbeiten kam es zwischen der Beklagten und der Naturschutzbehörde zu Meinungsverschiedenheiten über die Standsicherheit der verbliebenen Bäume. Die Naturschutzbehörde erteilte schließlich eine weitere Fällgenehmigung, aber nur für einige der umstrittenen Bäume.

 

Zwei Monate später stürzten während eines Gewittersturmes zwei weitere Bäume auf das Grundstück der Nachbarn und späteren Kläger, wo sie eine Garage und die Gartenanlage zerstörten.

 

Die Beklagte lehnte eine Ausgleichszahlung mit der Begründung ab, sie sei für den Schaden nicht verantwortlich, da sie durch den Naturschutz an der Beseitigung der schädigenden Bäume gehindert gewesen sei.

 

Der BGH hat diesen Einwand nicht gelten lassen. Die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 88.250,00 DM an die klagenden Nachbarn halte einer sachlich-rechtlichen Überprüfung stand.

 

Grundlage des Ausgleichsanspruches sei die Beeinträchtigung, die nach Abschluß der Rodungsarbeiten von den beiden geschützten, nunmehr ihrer Standfestigkeit beraubten Bäume ausging. Der Naturschutz stelle die Störereigenschaft jedenfalls solange nicht in Frage, als der Eigentümer mit Erfolg eine Ausnahmegenehmigung für die Beseitigung der Störfälle beantragen könne. Dies sei hier nicht der Fall gewesen, weil die Störung nicht im einer Ausnahme zugänglichen Naturschutz, sondern in der ersten, den Windschutz beseitigenden Rodung lag. Diese Rodung hätten die klagenden Nachbarn nicht abwenden können.

 

Das Urteil kann von der Geschäftsstelle abgefordert werden und ist auf der Website hier verlinkt.

  1. BVerfG: Relevanz ausländischer Gerichtsentscheidungen für die Auslegung des Europarechts

Das Bundesverfassungsgericht hat in einer für die Anwendung des Europarechts grundsätzlichen Entscheidung auf die Bedeutung der Auffassung von Gerichten anderer Mitgliedstaaten der Gemeinschaft verwiesen. In der Entscheidung heißt es (NVwZ 2004, 1346 ff.):

"Wenn es um die Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht geht, ist die dazu vertretene Auffassung von Gerichten anderer Mitgliedstaaten der Gemeinschaft auch für die Gerichte der Bundesrepublik Deutschland bedeutsam. ... Zweifel an der gemeinschaftsrechtlichen Gültigkeit einer Gemeinschaftsrichtlinie lassen sich nicht ausschließen, wenn die erheblichen Zweifel der anderen Gerichte und die solche Zweifel begründenden Erwägungen dieser Gerichte nicht aufgenommen werden und infolge dessen eine Auseinandersetzung mit ihnen unterbleibt. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gebietet in einem solchen Falle, daß die Entscheidungen der Gerichte anderer Mitgliedstaaten bei der Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Betroffenen und dem Interesse der Gemeinschaft an der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts berücksichtigt werden".

Dem Vernehmen nach sollen insbesondere die finnischen Gerichte eine Vielzahl von Entscheidungen zur Frage des Rechtsschutzes bei NATURA 2000 - Gebieten getroffen haben.

 

Wir werden versuchen, eine Datenbank für die Entscheidungen der Gerichte anderer Mitgliedstaaten zu NATURA 2000 und zur Wasserrahmenrichtlinie aufzubauen. Wir bitten die Mitglieder um Hinweise auf derartige Entscheidungen.

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  1. Agrarreform: Cross-Compliance-Verordnung

Am 01.01.2005 tritt die Verordnung über die Grundsätze der Erhaltung landwirtschaftlicher Flächen in einem guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand in Kraft.

 

Die Verordnung regelt gleichsam Bedingungen für den Bezug von Direktzahlungen. Anderem Verständnis nach rechtfertigt sie die Direktzahlungen als Ausgleich für einen erhöhten Standard.

 

Wir wollten die Verordnung an dieser Stelle eigentlich inhaltlich vorstellen. Von diesem Vorhaben haben wir in Anbetracht des Wortlautes Abstand genommen und überlassen dem geneigten Leser selbst die Lektüre - viel Vergnügen (Anlage 3):

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  1. Sonstiges

Unter www.naturpilot-sh.de kann man den Versuch von Umweltminister Müller betrachten, "Natur und Landschaft erlebbar" zu machen. U.a. mit Luftbildern aus dem landwirtschaftlichen Feldblocksystem wird Touristen erklärt, wie sie mit dem Auto bis heran an die Seeadlerbeobachtungsstation fahren können, einem ausgedienten, getarnten Wohnwagen im Wald ...

gez. Dr. Giesen


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