Rundschreiben 11/2003


Vogelschutz

Sehr geehrte Damen und Herren,

eine umfangreiche vierte Tranche steht bevor. Sie wird weitere Vogelschutzgebiete beinhalten. Dies ist das Ergebnis einer Informationsveranstaltung des MUNL am 15.09.2003.

Das MUNL prüft derzeit die Ausweisung teils außerordentlich großflächiger Gebiete zum Vogelschutzgebiet:

  • Naturpark Aukrug

  • Naturpark Lauenburgische Seen

  • Sachsenwald

  • Warder See

  • Neustädter Bucht

  • Heidmoorniederung

  • Oldenburger Graben

  • Lauer Holz

  • Haaler Auniederung

  • Hattstedter Marsch

  • Gotteskoog See

  • Eiderstedt

  • Gülzower Holz

  • Obere und Mittlere Krückau

  • Östlicher Fehmarnsund

Ende des Jahres 2003 sollen die bis dahin konkretisierten und kartenmäßig dargestellten Flächen in einer ersten Kabinettsbefassung identifiziert werden. Im Anschluß an die Kabinettssitzung soll wie bei der derzeit laufenden dritten Tranche der FFH-Gebiete eine Information der Verbände stattfinden. Im Anschluß daran ist die Veröffentlichung im Amtsblatt und das Beteiligungsverfahren nach §§ 20 c) Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 20 b) Abs. Abs. 1 LNatSchG vorgesehen. Für das Beteiligungsverfahren ist eine Frist von neun Wochen vorgesehen, ein Zeitraum, der außerhalb der Weihnachtsferien liegen soll. Im Anschluß daran wird es eine zweite Kabinettsbefassung geben. Für den Sommer 2004 ist der Abschluß des Ausweisungsverfahrens vorgesehen.

Da bei Vogelschutzgebieten die Meldung an die Europäische Kommission nur deklaratorische Bedeutung hat und der konstitutive Ausweisungsakt beim Mitgliedsstaat liegt, ist eine Veröffentlichung auch der neuen Vogelschutzgebiete im Amtsblatt vorgesehen.

Quintessenz: Es wird eine umfangreiche vierte Tranche von Vogelschutzgebieten vorbereitet.

Zwischenzeitlich sind die in Schleswig-Holstein im Rahmen der ersten und zweiten Tranche zugleich mit den FFH-Gebieten identifizierten Vogelschutzgebiete, die flächenmäßig aber auseinanderfallen können, im Bundesanzeiger vom 11.06.2003 bekanntgemacht worden. In dieser Bekanntmachung dürfte der vom Europäischen Gerichtshof für die Ausweisung eines Vogelschutzgebietes vorausgesetzte "förmliche Akt" liegen, so daß in den bekanntgemachten Gebieten nicht mehr das strikte Schutzregime des Art. 4 Abs. 4 VSRL (Vermeidung von Belästigungen), sondern das demgegenüber lockerere Schutzregime aus Art. 7, 6 FFH-RL, 20 a) ff. LNatSchG (Schutzgebietsausweisung, Beeinträchtigungsverbot, Verträglichkeitsprüfungspflicht und Bewirtschaftungsplanung) gelten dürfte.

Eine Kopie der für Schleswig-Holstein maßgeblichen Seiten 1, 2 und 45 bis 50 der entsprechenden Ausgabe des angesprochenen Bundesanzeigers sind als Anlage 1 beigefügt.

Die Notwendigkeit der über diese Liste noch hinausgehenden beabsichtigten Ausweisungen der vierten Tranche wird von der Abteilung Naturschutz des MUNL (Abteilungsleiterin Frau Brahms, Referatsleiter flächenhafter Naturschutz Herr Schmidt-Moser, Artenschutzreferent Herr Thomas, Fachreferent Herr Kaiser, Staatliche Vogelschutzwarte Herr Knief) mit folgenden Erwägungen gerechtfertigt:

Bereits unter dem 20.12.2001 habe die Europäische Kommission in einem Mahnschreiben gerügt, daß die Bundesrepublik Deutschland insgesamt

  • nicht genügend Vogelschutzgebiete ausgewiesen,

  • ausgewiesene Vogelschutzgebiete nicht ausschließlich nach ornithologischen Kriterien abgegrenzt,

  • ausgewiesene Vogelschutzgebiete mit einem nur ungenügenden Schutzstatus versehen sowie

  • der Europäischen Kommission nicht genügende Informationen darüber mitgeteilt

habe.

Das Mahnschreiben vom 21.12.2001 ist mit einem weiterleitenden Schreiben des BMU vom 03.01.2002 als Anlage 2 zu diesem Rundschreiben auf der Website unseres Arbeitskreises veröffentlicht.

Anm.: Aufgrund ihres großen Umfangs und der schlechten Lesbarkeit ist diese Anlage leider ein sehr großes PDF-Dokument geworden (13,5 MB). Alternativ finden Sie hier noch eine Version in eine stärker komprimierten Fassung (5,84 MB), deren Lesbarkeit allerdings noch schlechter ist. Bei Bedarf können Sie eine Kopie dieser Anlage - wie im übrigen auch alle anderen - bei der Geschäftsstelle des Arbeitskreises anfordern.

Dieses erste Mahnschreiben habe die Europäische Kommission mit einem weiteren Mahnschreiben vom 03.05.2002 aufgegriffen. Darin seien erneut die nicht genügenden Fachkonzepte zur Ausweisung der Vogelschutzgebiete gerügt worden.

Das zweite Mahnschreiben der Europäischen Kommission vom 03.05.2002 ist mitsamt dem weiterleitenden Schreiben des BMU vom 14.05.2002 als Anlage 3 zu diesem Rundschreiben auf unserer Website veröffentlicht.

Schließlich habe die Europäische Kommission in einem dritten Mahnschreiben vom 03.04.2003 ihre Vorwürfe konkretisiert und insbesondere in bezug auf Schleswig-Holstein die Ausweisung weiterer Gebiete gefordert.

Dieses für die gesamte Argumentation sehr wichtige und zentrale Mahnschreiben vom 03.04.2003 ist als Anlage 4 (Word-Dokument) zu diesem Rundschreiben auf unserer Website ebenfalls veröffentlicht. Es kann von hier aus auch per e-mail versandt werden.

In Reaktion auf das erste Mahnschreiben aus dem Jahr 2001 seien im Rahmen der dritten Tranche zehn Vogelschutzgebiete zum Teil deckungsgleich mit entsprechenden FFH-Gebieten identifiziert worden.

Im übrigen habe sich das Land Schleswig-Holstein gegenüber der Europäischen Kommission auf den Standpunkt gestellt, ausreichend Vogelschutzgebiete identifiziert zu haben.

Den anwesenden Verbandsvertretern wurden dazu drei Schreiben des MUNL an das BMU ausgehändigt, mit denen sich das MUNL zu rechtfertigen versucht. Die Schreiben vom 21.01.2002, vom 03.06.2002 und vom 01.07.2003 sind im Anlagenkonvolut 5 (Teil 1, Teil 2, Teil 3) zu diesem Rundschreiben ebenfalls auf unserer Website veröffentlicht.

Die Rechtfertigung des MUNL gegenüber BMU und Europäischer Kommission ist verwaltungsrechtlich dilettantisch. Beispielsweise werden Versäumnisse bei der Umsetzung des eigenen Konzeptes ausdrücklich eingeräumt. Im Falle der Halbinsel Eiderstedt wird vorgetragen, die Ausweisung sei 1999/2000 nicht deshalb unterblieben, weil es sich nicht um das zahlen- und flächenmäßig geeignetste Gebiet gehandelt habe, sondern weil befürchtet worden sei, daß Landwirte ihre Mitwirkung zu Artenhilfsmaßnahmen für die Trauerseeschwalbe einstellen würden. Daß eine derartige Begründung den Widerspruch der Europäischen Kommission geradezu herausfordert, ist kein Wunder.

Es wäre erforderlich gewesen, das eigene fachliche Konzept offensiv zu verteidigen, anstatt eine inkonsequente Umsetzung einzuräumen. Ferner wäre es erforderlich gewesen, an der seinerzeit gutachterlich nachgewiesenen Einschätzung festzuhalten, daß Eiderstedt nicht zu den flächenmäßig geeignetsten Gebieten für die Trauerseeschwalbe gehört, da die Art dort nur Sekundärhabitate annimmt. Diese eigentlich zielführenden Argumente wurden jedoch vom MUNL nicht vorgetragen.

Als Grundlage für die Auswahl wendet das MUNL für Arten nach Anhang I VSRL Art. 4 Abs. 1 VSRL an. Danach sind die für diese Arten "zahlen- und flächenmäßig geeignetsten" (Superlativ !) Gebiete auszuwählen. Das MUNL versteht diesen Tatbestand ausschließlich quantitativ, obwohl mit der flächenmäßigen Eignung auch ein qualitativer Anspruch an die Flächen ausgedrückt wird.

In Anwendung einer ausschließlich quantitativen Betrachtung stellte das MUNL die neue TOP-FIVE - Liste vor. Sie ist als Anlage 6 zu diesem Rundschreiben beigefügt.

Für Zugvögel, also Arten, die nicht in Anhang I VSRL aufgeführt sind, folgen nach Ansicht des MUNL Identifizierungskriterien für die Vogelschutzgebiete aus Art. 4 Abs. 2 VSRL. Hier sei auf "international bedeutsame Feuchtgebiete" abzustellen, eine Definition, die aus der Ramsar-Konvention bekannt sei. Maßgeblich sei hier regelmäßig das Vorhandensein einer Individuenanzahl von mehr als 1 % der gesamten biogeographischen Population. Hinzu kämen - wie angeblich auch von der Europäischen Kommission gefordert - auch Brut- und Rastgebiete.

Das MUNL räumte ein, als Maßstab insoweit die IBA-Liste zu nehmen, die in neuester Auflage 2003 mit wiederum wundersam vergrößerten Gebieten vom NABU und vom Deutschen Rat für Vogelschutz herausgegeben worden sei. Die für Schleswig-Holstein geltende IBA-Liste ist hier beigefügt als Anlage 7.

Die IBA-Liste 2003 ist fachlich hoch umstritten, insbesondere wegen ihrer im einzelnen nicht mehr nachvollziehbaren Kriterien, die wohl ausschließlich zielbewußt gewählt wurden, d.h. mit der Absicht, möglichst viele und möglichst große Vogelschutzgebiete einzubeziehen.

Der Flächenanspruch der IBA-Liste 1989 fiel noch deutlich geringer aus. Sie verwendete andere inhaltliche Kriterien und wurde vom Europäischen Gerichtshof nur hilfsweise in einem konkreten Verfahren angewendet. Schon die Orientierung an der IBA-Liste 1989 ist keineswegs zwingend; die Orientierung an der IBA-Liste 2003 noch viel weniger.

Die Informationsveranstaltung befaßte sich sehr intensiv mit dem beabsichtigten Vogelschutzgebiet auf Eiderstedt. Hier wird es in der nächsten Zeit eine Diskussion geben, die aufmerksam zu verfolgen auch den Betroffenen in den anderen oben genannten in Aussicht genommenen Vogelschutzgebieten empfohlen wird.

Wir werden berichten.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Dr. Giesen


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